Das hervorstechendste sprachliche Symptom beim Prader-Willi-Syndrom ist die Sprechdyspraxie.
Ein Mensch mit einer Sprechdyspraxie ist nicht in der Lage, einzelne Laute und/oder Lautverbindungen zielgenau zu realisieren.
Sprachbewegungsplanung und –realisierung sind ihm nur mangelhaft möglich. Deshalb fällt es ihm schwer, die für Sprechproduktionen erforderlichen Bewegungen in ihre räumliche und zeitliche
Beziehung zu setzen. Für die Behandlung einer kindlichen Dyspraxie gibt es diverse Ansätze. Grob gesagt gibt es zwei große Richtungen für die Therapie: die Assoziationstherapie (z.B. nach Mc
Ginnis) und die Therapie, die dem Patienten taktil-kinästhetische Hinweise für die Aussprache gibt. Hier ist vor allem die Methode PROMPT® (Prompts for Restructuring Oral Muscular Phonetic
Targets) zu nennen.
In der Assoziationstherapie lernt das Kind jeden Einzellaut in Assoziation mit einem Bild (sinnvollerweise ein Bild, das ein zumeist positives Gefühl auslöst). Über die bildhafte Verknüpfung der
Laute soll das Kind sich diese besser merken und dann abrufen können. Zuerst werden die Laute einzeln erarbeitet, dann kommen Lautverbindungen hinzu: Konsonant-Vokal: „ba“;
Konsonant-Konsonant-Vokal: „bra“; Konsonant-Vokal-Konsonant: „bab“; usw. Sinnvoller erscheint der aktuellen Literatur jedoch der Aufbau des Lautsystems mithilfe von taktil-kinästhetischen
Rückmeldungen für die Laute.
PROMPT® ist die bekannteste Methode. Auch hier werden die Ziellaute vorerst isoliert, später in Lautverbindungen eingeübt. Jedoch bekommt das Kind stets eine taktil-kinästhetische Rückmeldung vom
Sprachtherapeuten mittels eines Handgriffs an Lippen, Wangen und Zungenbasis. Diese Prompts ermöglichen es dem Kind, die Laute direkt zu „fühlen“. Der Laut wird sozusagen „eingemapped“ und
taktil-kinästhetisch gefestigt. Dies ist sinnvoll, da wir unser Sprechen generell nicht nur über das Gehör kontrollieren, sondern eben auch durch taktil-kinästhetische Rückkopplungsmechanismen.
Wichtig bei der Therapie mit PROMPT® ist, dass diese hochfrequent geschieht. Pro Therapieeinheit kann dann ein Wort sinnvollerweise 40-50 Mal eingemapped werden. Die Therapie muss Schritt für
Schritt vom Einzellaut bis zum ganzen Satz aufgebaut werden. Die Eltern bekommen spezielle Prompts beigebracht, um ihre Kinder zu Hause beim Einmappen zu unterstützen. Auch den Kindern werden
taktile Zeichen beigebracht, um sich selbst zu unterstützen.
In Deutschland ist PROMPT® leider noch nicht sehr verbreitet. Doch so langsam gibt es immer mehr Fortbilder, die sich mit dieser Methode beschäftigen (Deutscher Bundesverband der akademischen
Sprachtherapeuten dbs (www.dbs-ev.de), Prolog (www.prolog-wissen.de).
Das zweite große Thema in der Sprachtherapie bei Kindern mit PWS ist der Aufbau grammatischer Fähigkeiten, wie Sätze zu bilden. Ein wichtiger Faktor, der einen Sprachlerner dazu befähigt, Sätze
aufzubauen, ist das Kurzzeitgedächtnis. Da dieses bei Kindern mit PWS häufig beeinträchtigt ist, kann der Sprachaufbau allein schon deswegen erschwert verlaufen. So sollte man zu Beginn der
Therapie nicht zu viel erwarten: Kleine Satzeinheiten (wie z.B. Substantiv-Verb) sind der erste Schritt zum Aufbau der Satzgrammatik. Auf die Nutzung korrekter Artikel oder Beugungsformen der
Verben muss vorerst verzichtet werden. Der Aufbau der Satzgrammatik vollzieht sich natürlicherweise in kleinen Schritten: von Einwortsätzen über Zwei- bis hin zu Mehrwortsätzen. In einem späteren
Stadium der Therapie können viele Kinder mit PWS über Mehrwortsätze verfügen.
Die Morphologie, das heißt die Veränderbarkeit der Wörter, lernen Kinder mit PWS nur schwer. Hier erschweren ihnen die mangelnden phonologischen, d.h. lautlichen, Fähigkeiten den Weg zu den
„korrekten“ Formen. Ein einfaches Beispiel aus der deutschen Sprache: „Ich gehe in die Schule.“ Aber: „Du gehst in die Schule.“ Und: „Er geht in die Schule.“ Der Unterschied von „gehe“ und „geht“
ist gut hörbar und kann von Kindern mit PWS auch gut herausgehört werden. Jedoch ist es ihnen aufgrund der bestehenden Dyspraxie nur mit Konzentration möglich, die Endung „t“ zu
realisieren.
Noch schwieriger ist der Unterschied zwischen „geht“ und „gehst“. Ein einziger Laut mehr kann für das Kind zu einer riesigen Aufgabe werden. Häufig reduzieren die Kinder die Formen zu einer Form
(Beispiel: „Ich geh“, „Du geh“, „Er geh“, ...).
Fazit: In der Therapie mit vom PWS betroffenen Kindern sollte man kleinschrittig denken, um sie nicht zu überfordern. Häufige Wiederholungen sind aufgrund der geringeren Speicherfähigkeit
notwendig. Der Aufbau der Sprache folgt in etwa dem eines regelmäßig entwickelten Kindes. Insgesamt vollzieht sich die Sprachentwicklung jedoch sehr viel langsamer und hat starke dyspraktische
Anteile. Das Ziel sollte nicht sein, das Kind so schnell wie möglich zum Sprechen zu bringen, sondern es in seinen kommunikativen Fähigkeiten in dem Maße zu stärken, dass es so früh wie möglich
am Alltag partizipieren kann. Dabei können gewisse Entwicklungs- oder auch Therapieabschnitte sinnvoll sein, die die Entwicklung der Lautsprache vernachlässigen, um mimische und gestische
Fähigkeiten des Kindes zu fördern. Auch über diese parasprachlichen Wege ist Kommunikation gut möglich und überaus befriedigend.